Nach dem ersten Anhören der Arie frug ich: „Wer ist der Lehrer dieser Schülerin?“ welche dann auch prompt aufstand. Ich richtete mich an das Auditorium und sagte. „Ich stelle seit Jahren immer wieder fest, dass Sie ihren Schülern zu schwere Arien zum Singen geben. Dies stellt eine unnötige Überforderung für die Studierenden dar. Wir erwarten das auch nicht bei den Aufnahmeprüfungen. Im Gegenteil! Beginnen Sie nicht mit den „Gipfelpartien“ wie die Gräfin“. Eine Barbarina und eine Susanne tun es zu Beginn auch. Bauen Sie ihre Studierenden behutsam auf. Diese Schülerin ist keine Gräfin! Trotzdem werde ich jetzt mit ihr an dieser Arie arbeiten und wir werden sehen…“
Fehlender Bodenkontakt und Steifer Nacken. Von den Füßen bis zum Schädeldach eine völlig überspannt. Über Übungen mit den Füßen können wir die Gesamtkörperspannung positiv beeinflussen und gut geerdet etwas „lockerer“ werden, um unserer Stimme und unseren Gefühlen „freien Lauf“ lassen zu können. Habe ich eine guten Stand muss ich nicht ständig um Halt ringen. Oft kompensieren wir den fehlenden Bodenkontakt mit Steifigkeit im Nacken, was wiederum „Stress an die Kehle“ weiterreicht. Der Stimmklang wirkt eng, unfrei, geradezu etwas ängstlich und unsicher.
Diese überaus symphatische Sängerin, von der man am Anfang annehmen konnte, dass sie eine nette kleine Stimme hat, gab nach diesen Übungen ihre Stimme frei. Warm, rund und gar nicht klein oder nett, genau so wie ich es von Anfang an vermutet habe. Ich: „Singen berührt immer im übergeordneten Sinne auch Themen wie >laut sein dürfen<, >seine Meinung sagen<, >gehört werden wollen< >Konventionen brechen< >vorgegeben Pfade verlassen<, >zu sich selbst finden<! Wir werden jetzt eine kleine szenische Improvisation machen und dazu singen Sie ihre Arie. Ich setze Sie vor einen Spiegel und Sie schauen sich im Spiegel an, sehen sich an und denken an den Grafen der Sie betrogen hat. Versetzen Sie sich in die Lage dieser jungen Frau und ihrer enttäuschten Liebe. Lassen Sie dieses Bild auf sich wirken. Nun wenden sie Ihren Kopf und Körper in Richtung Zuschauerraum und lassen Sie die Musik und die Gefühle in sich aufsteigen. Ihre Pianistin wird genau spüren wann Sie bereit sind loszusingen. Sie werden aufstehen. Sie werden an die Rampe gehen. Sie werden rückwärts taumeln und zu guter Letzt wieder nach vorne gehen und in der Mitte des Raumes zu Ende singen. Diese verschieden Gänge leiten die unterschiedlichen emotionale Farben ihres Vortrags ein und können Sie beim Singen unterstützen. Ich lade Sie ein mutig zu sein und ihre Gefühle zu zeigen, denn dass ist die große Chance, die wir beim Singen haben. Und die Musik ist der Rahmen der uns dabei schützt und Halt gibt.“
Das ließ Sie sich nicht zweimal sagen und legte los und fragen Sie mich nicht, wie…..! Von diesem Ergebnis war sogar ich überrascht. Es war fast so als wäre Sie aus einem „Dornröschenschlaf wachgeküsst“ worden. Eine andere Person Sie hat eine schier überwältigende Fülle an Emotionen preisgegeben und ihre Stimme wusste nun auch wo Sie hingehört. (Technik ist eben nicht alles) Sie: „I thank you so much!“ Ich habe mich danach nochmal an ihre Lehrerin gewandt: „Ich korrigiere mich liebe Kollegin, Sie ist doch eine Gräfin. Nur noch nicht jetzt! Geben Sie ihr ein paar Jahre Zeit sich um sich zu entfalten und zu reifen, damit sie sich zu einer Sängerin mit einer stabilen Technik entwickeln kann.“
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