2015 Masterclass für Gesang an der Musikhochschule Baotou – Innere Mongolei // 2017 Peking-Xi´An-Tayuan China
Bericht: Beate Gracher
Ende August 2015 erhielt ich überraschend die Einladung für eine erkrankte Kollegin der Musikhochschule Berlin für eine Meisterklasse in Baotou einzuspringen.
Ich sagte sofort zu und war sehr gespannt darauf was auf mich zukommen würde.
Ich hatte schon eine gewisse Vorahnung, denn ich bereite seit einigen Jahren in Berlin in meinem Gesangsstudio in Wilmersdorf junge chinesische Männer und Frauen auf die Aufnahmeprüfungen an deutschen Musikhochschulen vor und kenne deren Stärken und deren grundlegenden Probleme. Zu fest, zu groß, zu laut und ohne die Möglichkeit der Modulation der Stimme im Sinne des klassischen Gesangs. Ein gesundes Atemgerüst fehlt. Mangelnde Eigenwahrnehmung. Das Konzept der Regeneration und der Optimierung der Leistung der Stimm– und Atemorgane über das Entwickeln einer ausbalancierten Spannung und Koordination der muskulären Systeme der Aufrichtung, Atmung, Bewegung, Artikulation, und Stimme unter gezielter Nutzung ihrer Zusammenhänge und Wechselwirkungen, scheint mir in der chinesischen Gesangspädagogik unbekannt. Ist Stimmphysiologie überhaupt Gegenstand, sprich Unterrichtsfach in der Ausbildung von Gesangspädagogen in China? Es stellte sich mir die Frage, ob es überhaupt Konzepte der Körperwahrnehmung, der geistigen Klangvorstellung und mentaler Arbeit im Gesangsunterricht gibt. Unterricht im Dialog schien mir bisher für China ein Fremdwort zu sein. Ich bin also mit einer gewissen Erwartungshaltung, mit freudiger Aufregung und mit jeder Menge Anregungen und Unterrichtsmaterialen, aber auch mit vielen Fragen im Gepäck nach China aufgebrochen.
Ich habe als erste freie Pädagogin/Gesangslehrerin/Vocalcoach eine Meisterklasse an der Musikhochschule in Boatou gegeben. Hier werden unter anderem Lehrer ausgebildet. Eine Opernklasse im klassischen Sinn oder für klassische chinesische Oper gibt es in Baotou nicht, dennoch wird dort klassischer Gesang unterrichtet. Es gibt dort eine weithin bekannte,hervorragende Ausbildung in traditioneller chinesischer und mongolischer Musik. Zu meinem Workshop reisten Studenten und Pädagogen aus ganz China an um mit mir zu arbeiten und sich auszutauschen. Der erste Tag begann mit einer Einführungsveranstaltung zu der der gesamte Lehrkörper der Hochschule anwesend war. Man war dort vor allem an den Studienmöglichkeiten, der Hochschullandschaft und den Studienvoraussetzungen in Deutschland interessiert. Es wurden auch Fragen zu Stimmfach, Deutsche Fachpartien und Gesangsrepertoire gestellt und erörtert. Ich klärte die Kollegen über die Erwartungshaltung der Deutschen Hochschulen gegenüber den chinesischen Bewerbern auf. „In Deutschland kostet ein Studienplatz für Gesang den Steuerzahler mindesten an die 180000€ und ist für jeden Bewerber der die Aufnahmeprüfung besteht kostenlos. Das Mindeste was wir erwarten können ist, dass die Bewerber gute Deutschkenntnisse mitbringen“ In den letzten Jahren gab es wegen der schlechten Deutschkenntnisse und der Tendenz sich von den anderen Studierenden abzuschotten zunehmend Unmut unter den Kommilitonen. Ich verwies diesbezüglich auf einen sehr aufschlussreichen Artikel in der Zeitonline/Hochschule vom 16.01.2014. Ich machte zudem auf die Möglichkeit von Deutschkursen durch das Goethe -Institut in China aufmerksam. Man nahm diese Hinweise mit großem Interesse zur Kenntnis.
Ich erklärte zudem, dass meiner Ansicht nach in der chinesischen Gesangspädagogik noch keine so rechte Vorstellung von der westeuropäischen Gesangs – und Klangästhetik gibt und dass es an dieser Stelle eine Lücke zu schließen gilt. Repertoirekenntnisse der Deutschen Gesangsliteratur sind bei nahezu allen chinesischen Kollegen nicht vorhanden. Man scheint davon auszugehen, dass auch in Deutschland lediglich Kenntnisse der italienischen Gesangsliteratur erwartet werden.
Einige chinesische KollegInnen haben Kurse in Italien besucht. Die Fächerfrage von der Anfängerliteratur bis hin zu den „Gipfelpartien“ im deutschen Fach und wie man Studierende behutsam aufbaut und an weiterführende Partien heranführt scheint mit dort gänzlich unbekannt. Die meisten Schüler singen bei den Aufnahmeprüfungen viel zu schwere Arien vor. Wir haben diesbezüglich unseren Studierenden gegenüber eine Fürsorgepflicht und dürfen Sie nicht zu früh mit zu ehrgeizigen Partien, die der Stimme zweifellos schaden, überfordern. Man nahm mir diesbezüglich meine, für chinesische Verhältnisse, schonungslose Offenheit nicht übel.
Auf die Frage nach der Auswahl der Stücke/Fachliteratur die für eine Aufnahmeprüfung an einer deutschen Hochschule sinnvoll wären, händigte ich den Fachkollegen eine von mir erstellte Liste, inclusive Auszüge aus den Bedingungen der Hochschulen, aus. Des Weiteren bot ich den KollegInnen an, Sie auf Mailanfragen hin zu beraten, falls sie es wünschen. Beides nahm das Kollegium höchst erfreut auf.
Nach dem Meeting ging es gleich zu den ersten Unterrichtsstunden in den prall gefüllten Konzertsaal An die 250-300 Zuhörer (Studenten und Dozenten) waren dort versammelt. Gleich bei den ersten Studenten zeigten sich so deutlich gesangstechnische Probleme, dass es kaum möglich war sich auf höheren Niveau interpretatorischen Fragen zu stellen. Darauf war ich gefasst und vorbereitet. Diese Problematik kannte ich ja, wie oben schon erwähnt, aus meinen Erfahrungen mit den jungen chinesischen StudienanwärterInnen in Deutschland. Zu fest, zu groß, zu laut, keine stimmliche Modulationsfähigkeit im Sinne des klassischen Gesangs. Eine gesunderAtem, eine diskussionswürdige Atemtechnik war nicht vorhanden.
Aber China wäre nicht China, wenn es nicht um seine Defizite wüsste und alle waren begierig darauf zu lernen, wie man die vorhandenen stimmlichen Probleme angehen könnte. Man freute sich schon auf die neuen Wege, die ich aufzeigen wollte.
Ich arbeitete mit allen Studierenden daran kleinere und größere Blockaden und Hemmnisse abzubauen. Dies tat ich mit Körper –Atem-und Bewegungsübungen, aber auch mit dem Aufbau von intentionaler Spannung durch das Einführen kleiner Szenarien (leichte Schauspielimprovisationen). Dieses beflügelte die Vorstellungskraft der jungen Leute und förderte deren leib-seelische Präsenz, welches eine elastische Gesamtkörperspannung begünstigte. Auf diese Art der Arbeit „fuhren die Studierenden geradezu ab“! Die stimmlichen Veränderungen waren oft so spontan und gravierend, dass hier und da sogar Tränen vor Rührung und Begeisterung flossen.
Ich frug die Lehrer, was denn gerade geschehen sei, was sich verändert habe. Am meisten beindruckte Sie, wie mühelos und frei sich die Stimmen entfalten konnten und klangen. Auch das die Qualität der Stimmen sich hin zu warm und weich (auch etwas dunkler) hin veränderten beeindruckte sehr. Das sich die verkrampften Haltungen auch auflösten ist niemandem entgangen. Das löste geradezu Begeisterung und auch Bewunderung aus. Dies wurde mir auch in dem Gespräch im Anschluss an den Kurs von meinen KollegInnen bestätigt: „Your Concept is brilliant“. So viel Offenheit,Wärme und vorbehaltlose Anerkennung, sowohl seitens der Studenten, als auch seitens meiner Berufskollegen berührte mich zutiefst. So beflügelt unterrichtete ich bis in die Abendstunden ohne Ermüdungserscheinungen. Wenn meine chinesischen KollegInnen nicht protestiert hätten, hätte ich vielleicht vergessen zu essen. So wurde jeder Tag von einem herrlichen Dinner gekrönt. Die Gastfreundschaft Chinas ist sprichwörtlich.
Am Ende der drei Tagen baten mich die Kollegen noch um eine halbe Stunde Nachgespräch. Natürlich wurde zwei Stunden daraus. Es war ein entspannter Austausch auf Augenhöhe. Meine Kollegen wollten unbedingt wissen, ob man wirklich laut singen kann ohne dass der Bauch dabei fest wird wie Stahl (was ich bei ihren Studenten moniert hatte). Sie wollten erfahren was ich unter ausbalancierter Spannung und „Durchlässigkeit“ verstehe und hatten auch absolut keine Hemmungen mich bei meinen Demonstrationen überall anzufassen oder sich anfassen zu lassen. Wir haben dabei viel gelacht.
Ich habe mir erlaubt meine Kollegen zu ermuntern in ihrem Unterricht etwas mehr Dialog mit ihren Studierenden zu wagen.
Im übergeordneten Sinn kann man auch so Druck und Spannung abbauen.
Solche Fragen wie: „Was fühlst du“; „Was glaubst, was dir fehlt-woran möchtest du mit mir jetzt arbeiten“; „Spürst du irgendwo eine Verspannung oder Veränderung?“ oder zu Beginn des Unterrichts „Wie geht es dir heute?“ sind meines Wissens in der chinesischen Pädagogik bisher noch nicht üblich. Vormachen-Nachmachen heißt die Devise. Die Lehrer spüren aktuell die Grenzen dieser Vorgehensweise, was den klassischen Gesangsunterricht angeht, sehr deutlich und benennen das auch. Sie wünschen sich mehr, wissen aber noch nicht wie. Ich habe Ihnen angeboten, das ich das nächste Mal mit Ihnen einen Workshop mache, denn eigentlich gehört dieses „Know – how“ zunächst einmal in die Hände der Gesangslehrenden. Sie wissen wie man mit den neuen Kenntnissen umgeht und können sie dann an ihre Studierenden weitergeben. Alle waren hocherfreut.
Nach drei Tagen waren wir alle ausgepowert und angefüllt mit so vielen wunderbaren neuen Eindrücken.
Wir verabschiedeten uns mit der Hoffnung uns bald wieder zu zusehen.
2016 war ich wieder in China allerdings nicht in Baotou. Ich habe Workshops in Peking, Xi´An und Taiyuan gegeben.
Ich persönlich war 2015 so beeindruckt und überwältigt von China und seinen liebenswürdigen Menschen, dass ich mir auf dem Rückflug von Beijing nach Berlin vorgenommen habe Chinesisch zu lernen. Im März dieses Jahres 2017 habe ich am Konfuzius Institut (TU Berlin) vor dem Hanban meine ersten offiziellen chinesischen Sprachprüfungen HSK 1&2 mit sehr gutem und gutem Erfolg abgelegt. Mein Ziel ist es im Herbst 2018 HSK 3 abzulegen, was bedeutet fließend Chinesisch sprechen und auch lesen zu können.
Über mein Privatstudium an der Chinesischen Sprachenschule Mao Huiqin gibt es mittlerweile einen Film des Senders TVBerlin und ist unter dem folgenden Link anzusehen: https://www.youtube.com/watch?v=jhRVf0DO01A
Berlin, 11.02.2017
Beate Gracher-Strodthoff
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